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Schicksalsgefährten auf vier Pfoten (NWZ 05.09.2016)

08.09.2016

05.09.2016

JAHRESTAG

Schicksalsgefährten auf vier Pfoten

Vor 100 Jahren wurde die erste Schule für Blindenführhunde in Osternburg gegründet Christian J. Ahlers

 

Bild: Gruppenfoto

Karin Wagner (Mitte, weiße Mütze) zeigte mit Hündin „Katu“, wie sie den Alltag meistert.

    

Die Oldenburgische Landschaft erinnerte an die Oldenburger Pioniere Gemeinsam wurde im Schloss gefeiert. „Ein Leben ohne Katu kann ich mir gar nicht mehr vorstellen“, erklärt Karin Wagner und streichelt liebevoll ihre achtjährige Mischlingshündin. „Es ist eine ganz besondere Beziehung zwischen uns.“ Kein Wunder, seit sechs Jahren ist das Duo unzertrennlich, verbringt praktisch jede Minute miteinander. Karin Wagner ist blind – und Katu nicht nur ihr Haustier, sondern als Blindenführhund eine große Stütze im Alltag der 78-Jährigen. Ihren Ursprung hat die Geschichte der Blindenführhunde in Oldenburg.

Bereits 1916 wurde im Stadtteil Osternburg die weltweit erste Schule zur qualitativen Ausbildung der Tiere gegründet (NWZ  berichtete). An diesen Jahrestag erinnerte am Sonnabend die  oldenburgische Landschaft in Kooperation mit der „kreativen Runde“ (deren Ziel es ist, die Stadt bekannter zu machen) mit zahlreichen Vorträgen und Aktionen am und im Schloss.

Neben Lesungen im großen Saal wurde Besuchern mit Vorführungen auf dem Schlossplatz das Leben blinder Menschen nahegebracht.

Schüler leben „blind“

Mit dabei: die Klasse 5D des Gymnasiums Eversten. Die Acht- bis Zehnjährigen erprobten sich einerseits beim „Lesen“ spezieller Stadtpläne und Bücher in Blindenschrift, setzten andererseits aber auch erste, wackelige Schritte in ein Leben ohne Sehkraft: So bewältigten die Schüler einen realitätsnahen Parcours aus Baustellen, Straßenkreuzungen und Ampeln. Unterstützung erhielten sie dabei von Gespannprüferin Annemarie Buttlar und dem sogenannten „DogSim“ – einem mechanischen Gefährt, das einem Blindenführhund nachempfunden ist.

„Das war schon ein komisches Gefühl, wirklich gar nichts zu sehen“, beschreibt die zehnjährige Lina und ergänzt: „Da hat das Gefährt schon sehr geholfen“. Ohne Sehkraft zu leben, kann sich die Schülerin allerdings „überhaupt nicht“ vorstellen.

Wie es geht, zeigten unter anderem Karin Wagner und Hündin Katu, die den Parcours in Rekordzeit bewältigten. Erst vor einem halben Jahr zog die rüstige Seniorin von Wilhelmshaven kommend nach Oldenburg, reiste mit Bahn und Hund quer durch die Bundesrepublik. Ohne Katu undenkbar. „Mit ihr unterwegs zu sein, ist ein ganz großer Unterschied zum Blindenstock.“ Karin Wagner ist mobil.

Rund 2000 sehbeeinträchtigte Menschen bundesweit leben wie Karin Wagner mit einem unerlässlichen Helfer auf vier Pfoten. Damit die Tiere auch in gefährlichen Situationen wie Straßenkreuzungen richtig reagieren, ist eine qualitative, rund zweijährige Ausbildung nötig, deren Geschichte bis zum Ersten Weltkrieg zurück reicht.

Während ihres Einsatzes an der Front überlebten viele Soldaten zwar Giftgasangriffe, erblindeten jedoch oft.

Mutige Pioniere

Großherzog August Friedrich von Oldenburg und Geheimrat Heinrich Stalling, Vorsitzender des Vereins Sanitätshunde, ergriffen die Initiative und bildeten in Osternburg erstmals Blindenführhunde aus. Dabei handelte es sich in der Regel um Suchhunde, die bereits in den Schützengräben eingesetzt wurden.

„Sie haben wie Pioniere in etwas investiert, das überhaupt nicht selbstverständlich war. So wurde zahlreichen Opfern des Krieges ein neues Selbstbewusstsein gegeben“, erklärt Hans-Werner Lange, Vizepräsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V.

Trotz aller technischer Entwicklungen ist sich Karin Wagner sicher: „Auch in 100 Jahren wird es noch Blindenführhunde geben.“ In schweren Zeiten seien die Tiere schließlich Schicksalsgefährten auf vier Pfoten.

 

NWZ TV    zeigt einen Beitrag unter http://www.nwzonline.de/videos-oldenburg