RSS-Feed   Teilen auf Facebook   Link zur Seite versenden   Druckansicht öffnen
 

Ausstellung - 100 Jahre Blindenführhund - Langenhagen

03.02.2017

Sehenden fehlt oft der Durchblick

Blindenverband weist in Ausstellung in der VHS auf die vielfältigen Probleme des Alltags hin

VON SVEN WARNECKE

Volker Schilling (großes Bild) berichtet nicht nur über das Leben mit seinem Blindenhund Merlin, sondern auch über die vielen Probleme, die Menschen mit Sehbehinderungen tagtäglich in Deutschland begegnen. Blindenhunde müssen spezielle Eigenschaften mitbringen – und auch mal Pause machen, wenn sich die Möglichkeit bietet (kleines Bild). Fotos: Warnecke (3)

Langenhagen. Wie ergeht es Menschen mit Sehbehinderungen in Deutschland? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen der Ausbildung von Blindenführhunden, die gerade in der Volkshochschule (VHS) Langenhagen zu sehen ist. So viel scheint klar: Vielfach herrscht völlige Unkenntnis.

Anfang war der Not geschuldet

Der Anfang der Ausbildung von Blindenführhunden in Deutschland im Jahr 1916 war der Not geschuldet: Mehr als 3000 Soldaten verloren im Ersten Weltkrieg ihr Augenlicht. In der Folge übergab im Oktober des Jahres der Deutsche Verein für Sanitätshunde den ersten systematisch ausgebildeten Blindenführhund. 100 Jahre später würdigt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) dieses Ereignis mit einer bundesweiten Ausstellung, die noch bis zum 10. Februar in der VHS zu sehen ist.

VHS-Leiterin Annette von Stieglitz macht bei der Einführung keinen Hehl daraus, dass ihr die Ausstellung „sehr, sehr am Herzen“ liege. Denn sie möchte, dass Veranstaltungen ihres Hauses über den Tag hinaus wirkten – bei den Menschen Emotionen oder sogar Reaktionen auslösten. Bei ihr ist das der Fall: Nach einer Diskussion mit den Besuchern – zumeist Betroffene – bekennt von Stieglitz, dass sie sich als Aufgabe mit nach Hause nehme, in Zukunft in der VHS auch EDV-Kurse für sehbehinderte Menschen anzubieten. Und sie betont mit Blick auf die Treppen und zu kurzen Handläufe im Eingangsbereich des mehr als 40 Jahre alten Treffpunkts, dass bei künftigen Bauprojekten noch viel zu tun und zu berücksichtigen sei. Um der Inklusion gerecht zu werden, müssten „alle mitmachen“, meint sie.

Hund gilt als Partner fürs Leben

Volker Schilling, Fachgruppenleiter Blindenführhunde des Blinden – und Sehbehindertenvereins Niedersachsen-Bremen, beschrieb zur Ausstellungseröffnung am Mittwochabend eindringlich nicht nur das Leben mit seinem Blindenhund Merlin, den er als „Partner fürs Leben“ bezeichnet. Er wies auch auf die Hindernisse hin, die er und andere Betroffene überwinden müssen. So werde er bis heute wegen des Tieres aus manchen Lebensmittelgeschäften geworfen, berichtete Schilling. Ähnliche Probleme habe er bei Taxifahrten. Viele Fahrer ignorierten sehbehinderte Menschen und ihre vierbeinigen Helfer beflissentlich. Dafür will Ralf Mittag, Assistent der Arbeitskreisleitung für Blindenführhunde in Hannover, eine pragmatische Erklärung gefunden haben: Viele der Fahrer hätten einen muslimischen Hintergrund. Bei ihnen gelte der Hund als „schmutziges Tier“. Der Blindenverein arbeite eng mit den Taxiverbänden zusammen, um eine Lösung dieses Problems herbeizuführen. Der Ausgang sei aber offen.

Ein großes Dilemma sieht Schilling auch in der fehlenden staatlichen Anerkennung des Berufs des Ausbilders von Blindenführhunden. Zwar gebe es Kriterien. Doch diese stammten aus dem Jahr 1993 und seien heute „total veraltet“. Als Beispiel nennt er allein die Ausbildung der Tiere. Früher seien sie mit Zwang – „unter Gewalt“ – abgerichtet worden. Heute würden die Hunde als Partner des Menschen ausschließlich mit Belohnung ausgebildet. Schließlich bedeutet sein Helfer für ihn, dass er nicht mehr auf Dritte angewiesen und so unabhängiger ist.

Allerdings: „Wir können als Blindenverband nicht auf die Ausbildung einwirken“, bedauerte Schilling. Da gebe es gravierende Unterschiede. Doch angesichts des Kostendrucks, den die Krankenkassen stets anführten, schauten sie heute meist auf den Preis eines Tieres, weniger aufs Können. Und die Spannen seien erheblich. Ein über sechs bis zehn Monate ausgebildeter Hund koste zwischen 23 000 und 35 000 Euro, berichtete Schilling. Doch es gebe„viele schwarze Schafe“ in der Blindenführhund-Ausbildung. Er hat aber wenig Hoffnung, dass die im Sommer 2016 in den Bundestag eingereichte Petition zur Standardisierung dieser Ausbildung zugunsten der „Sicherheit der Menschen“ Zustimmung findet.

Elektromobilität löst Angst aus

Ungeachtet dessen fordert der Blindenverband, dass die Politik stärker auf die Bedürfnisse von Menschen mit Handicaps eingehen muss. So nennt Schilling etwa die Gefahren durch die immer mehr zunehmende – und politisch gewollte – Elektromobilität. Die geräuschlosen Fahrzeuge lösten vermutlich nicht nur bei ihm „richtig Angst“ aus.

Unter den Besuchern der Ausstellungseröffnung war auch Hülya Iri. „Themen, die uns fremd sind, müssen wir angehen“, begründete sie als Mitglied der hannoverschen SPD-Ratsfraktion ihren Besuch in der Nachbarstadt. Sie war allerdings die einzige politische Vertreterin des Abends. Aus Langenhagen selbst waren keine Ratsvertreter vor Ort – ausgerechnet. Denn nach Meinung von Albert Schneider, Sprecher des in Langenhagen neu gegründeten Arbeitskreises Barrierefreiheit, ist das Problem vieler im Umgang mit Blinden „die Unwissenheit“. In der Folge würden zu viele Entscheidungen – speziell im Bausektor – getroffen, ohne dass Betroffene zuvor gehört oder gar eingebunden wurden. Als Beispiel nannte Schneider etwa abgesenkte Bordsteine. Diese hülfen zwar Älteren mit Rollatoren, Blinde indes hätten wegen fehlender Kanten damit erhebliche Probleme.

Alles in allem hätten sich Menschen mit Behinderungen „viel zu lange verkrochen“, attestierte Schneider den Betroffenen. Themen zur Inklusion seien viel zu lange nicht angesprochen worden. Er wirbt aber auch um mehr Geduld bei der Umsetzung der entsprechenden Ziele. In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass der Bundestag erst im Jahr 1957 beschlossen hatte, dass Blinde unbegleitet auf die Straßen dürfen. Seither sei immerhin eine Menge geschehen, befand Schneider.

Info: Die Ausstellung ist montags bis freitags von 9 bis 13 Uhr sowie nachmittags von 15 bis 20 Uhr im VHS-Treffpunkt an der Konrad-Adenauer-Straße 15 in Langenhagen zu sehen.

2/3

Volker Schilling (großes Bild) berichtet nicht nur über das Leben mit seinem Blindenhund Merlin, sondern auch über die vielen Probleme, die Menschen mit Sehbehinderungen tagtäglich in Deutschland begegnen. Blindenhunde müssen spezielle Eigenschaften mitbringen – und auch mal Pause machen, wenn sich die Möglichkeit bietet (kleines Bild). Fotos: Warnecke (3)