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Ein Blindenführhund im Interview

24.03.2017

Hamburger Blindenhund im Interview!

 Angestellter im Berufsförderwerk

Floyd! Labrador Retriever mit besonderem Job im Berufsförderungswerk Hamburg

Montag, 20.03.2017, 14:18 · von Gastautor 

 

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("Foto privat)Blind? Floyd! Labrador Retriever mit besonderem Job im Berufsförderungswerk Hamburg

 

Floyd ist ein Labrador-Retriever mit einem besonderen Job im Berufsförderungswerk Hamburg. Er ist Blindenführhund und begleitet Anne Pinho, die durch eine Krankheit erblindete. Die 58-Jährige wohnt in Wandsbek und arbeitet als Sozialpädagogin im Berufsförderungswerk Hamburg. Das sind sechs Stationen entfernt vom U-Bahnhof Wandsbek. Machbar, dank Floyd.

 

Zunächst möchte ich mich bedanken, dass der Termin heute so problemlos geklappt hat. Das ist ja nun nicht selbstverständlich, dass wir zusammenkommen um…

 

Floyd und Anne Pinho: … wieso ist das keine Selbstverständlichkeit?

 

Sie, Frau Pinho, sind blind. Ist das kein Handicap, hierher zu kommen?

 

Floyd: Das ist ein Handicap, aber nicht unüberbrückbar.  Ich bringe Anne jeden Tag, an dem  sie hier im Berufsförderungswerk Menschen in Sachen Qualifizierung und Integration berät, nach Farmsen. Das ist kein Problem. Das ist mein Job.

 

Ok, ok. Wie kamen Sie an den Job?

Floyd: Ich wurde ausgebildet wie andere auch. Geboren bin ich 2009 in Belgien, aufgewachsen in Tschechien. Ein Jahr ging ich dann zur Blindenführhundschule nach Arnstadt bei Erfurt. Hier in Thüringen ging´s um die Wurst, hier habe ich mich für den Job bei Anne qualifiziert.

 

Wie läuft die Schulausbildung?

Floyd: Die Blindenführhundschule sucht aus einem Wurf sehr wenige geeignete Tiere aus. Oder sie züchtet selbst. Drei Monate bleiben wir dann bei einer sehenden Familie, um im Vorbereitungslehrgang grundlegende Befehle zu lernen wie „Sitz“ und „Platz“.  Danach laufen wir bei den Kursen der Blindenhundschule mit. Die Trainer schauen darauf, ob wir für den künftigen Job Interesse und Eignung mitbringen. Gut, die Bewerbung für den Job war eher einseitig

 

Was lernt ein Hund in der Blindenführhundschule, hier würde man sagen, welche Produkte gibt´s dort?

Floyd: Hier lernen wir, an der Straße zu gehen, bei Verkehr anzuhalten, Zebrastreifen zu nutzen, Hindernissen auszuweichen, in Geschäfte zu gehen, Plätze zu erreichen,  Verkehrsmittel wie U-Bahn oder Bus zu nutzen. Dann nach einem Jahr harten Einzeltrainings ist die Ausbildung beendet. Für einen Job gehört aber mehr dazu, man muss auch einen guten Charakter haben …

 

Wieso kamen Sie als junger Hund-Spund ins Berufsförderungswerk?

Floyd: Ich bin jetzt bereits sieben Jahre hier. Normalerweise wechseln die Blindenführhunde erst im Alter von anderthalb, zwei Jahren zu den blinden Menschen, die wir betreuen. Ich wurde im Januar 2008 geboren und kam im April 2009 nach Hamburg. Ich bin damit der Nachfolger von Andi, der hier 12 Jahre war und Anne gute Dienste leistete. Aber auch in unserem Metier geht ein Hund in Rente. Also hat Anne mich ausgesucht. Sie konnte Rasse und Geschlecht und Fellfarbe angeben. Damals war Anne nicht ganz erblindet. Also wollte sie einen Hund, auf dem kein Dreck zu sehen ist, wenn wir in der Freizeit herumtollen. (bellt)

 

Gegen wen haben Sie sich in der Bewerbung durchgesetzt?

Floyd: Anne wollte unbedingt eine Hündin. Sie dachte, die sind schmusig. Sie wollte keinen Königspudel und auch keinen Rüden. Vielleicht hat sie mit ihren zwei Jungs Erfahrungen gemacht… Also war meine direkte Konkurrentin hier im Werk eine blonde Hündin. Aber nach kurzer Zeit zeigte sich, dass sie für den Job nicht geeignet ist.

 

Wie kam das heraus?

Floyd: Bevor ein Blindenführhund seinen Job antritt, wird sein künftiger Chef in die Schule gebeten. Hier übt er eine Woche, jeden Tag mehrere Stunden, mit uns umzugehen. Kurz: Hier soll sich zeigen, ob die Chemie stimmt. Aber Nikita, so heißt die Hündin, war zu unruhig. Ihr Menschen würdet, wenn ihr freundlich seid, sagen: Sie ist hyperaktiv. Böse Zungen hielten ihr entgegen, sie sei neurotisch. Sie konnte nicht ruhig unter einem Restauranttisch liegen, war dauernd abgelenkt. In jedem Fall passte sie nicht zu Annes Naturell. So kam ich ins Spiel und bekam den Job.

 

Was passierte mit Nikita?

Floyd: Die Blindenführhundschule geht in Vorleistung. Sie kauft einen Hund, bildet ihn aus und stellt ihn blinden Menschen in einer Testwoche zur Seite. Wird diese Probezeit nicht erfolgreich absolviert, bekommt der Hund quasi die Kündigung. Das ist für Hunde und Blindenführhundschule bedeutsamer als für Menschen. Sie geht ins Risiko. Wenn die Berufsfindung nicht klappt, hat sie auf den falschen Hund gesetzt. Denn die Blindenführhundschule erhält erst Geld für den Hund, wenn dieser mit Erfolg die Integration schafft.

 

Die Integration klappt ja nicht auf Anhieb. Was fiel Ihnen auf dem Weg in die Arbeitswelt besonders schwer?

Floyd: Ich war unkonzentriert, vielleicht war ich auch in der Berufsfindungsphase etwas schlecht beraten. Und ich konnte mich schwer an das neue Umfeld gewöhnen. Die Integration in Arbeit ist immer auch davon abhängig, wie das Umfeld aussieht.

 

Wer bezahlt Blindenführhunde?

Floyd: Wir werden von der Krankenkasse verpflichtet. Unsereins kostet zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Wie teuer ich war, will ich an dieser Stelle nicht sagen.

 

Wer ist jetzt der Arbeitgeber?

Floyd: Das Berufsförderungswerk ist nicht mein Arbeitgeber, sondern Anne.  Ich bin quasi die Assistenz von Anne Pinho, bin allerdings noch im Besitz der Krankenkasse. Formal gehöre ich der Krankenkasse, die auch Kosten etwa für Tierarzt oder Urlaub übernimmt. Wenn ich in Rente gehe, kehre ich in den Besitz der Krankenkasse zurück. Für uns gilt Rente mit 84 (12 Hundedienstjahre sind 84 Menschenjahre, d.Red.) Das heißt: Ich gehe kurz vor Anne in Rente.

 

Bis dahin müssen Sie noch arbeiten. Wie sieht ein ganz normaler Arbeitstag aus?

Floyd: Morgens klingelt der Wecker wie bei anderen Arbeitnehmern auch. Ich habe dann die Aufgabe, Anne ins Büro zu bringen. Wir verlassen also die Wohnung in Wandsbek Richtung U-1. Ich finde die richtige Bahn, die richtige Treppe, den richtigen Aufgang, die richtige Fahrtrichtung. Und abends geht´s zurück. Inzwischen habe ich Routine, dass ich zuweilen auf der Rückfahrt schon aufstehe und Anne die Zielstation „Wandsbeker Chaussee“ signalisiere, bevor wir sie erreichen. Das sitzt irgendwie so drin. Das ist Gefühlssache. Auch wenn in der U-Bahn – wie leider oft – die falsche Durchsage kommt, irritiert mich das nicht.

 

Was passiert, wenn Routinen unterbrochen werden?

Floyd: Ich reagiere nur auf Kommando. Ohne Annes Anweisung mache ich nichts. Wenn wir gewohnte Wege gehen, also etwa vom BFW zur U-Bahn wie jeden Tag, brauche ich kein Kommando. Wenn wir aber noch zwischendurch in die Apotheke wollen, muss Anne sagen: Los weiter, nicht zur Treppe!

 

Wie sieht der Büroalltag aus?

Floyd: Ich habe einen Halbtagsjob. Im Büro mache ich Pause, weil Anne sich hier auskennt. Dann verkrümele ich mich unter den Tisch und falle auch dann nicht auf, wenn Teilnehmer um Rat fragen. Wenn sie das Gebäude verlassen will, muss ich assistieren.

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(Foto privat) Blind? Floyd! Labrador Retriever mit besonderem Job im Berufsförderungswerk Hamburg

 

 

Wann gibt´s Probleme?

Floyd: Zuweilen biege ich vom Weg von der U-Bahn nicht direkt ins Berufsförderungswerk ab. Aber dann will ich nur spielen. Mir geht’s wie anderen auch. Ich kann mich über längere Zeiträume nicht voll konzentrieren; ich lasse mich zuweilen ablenken. Zuweilen fehlt mir halt der Antrieb für den Job. Dann würde ich lieber spazieren gehen und herumtollen.  Besondere Probleme gibt´s, wenn gewohnte Wege aufgerissen worden sind oder ein Bauzaun vor mir steht, den ich vorher nie gesehen habe. Oder ich fahre wie jeder Arbeitnehmer in Urlaub.

 

Was passiert dann?

Floyd: Dann bin ich überfordert. Ich begleite Anne zwar nach Barcelona, an den Timmendorfer Strand oder zum Ski-Fahren. Aber das sind für mich unbekannte Terrains.  Ich brauche Wiedererkennungswerte, um mich orientieren zu können. Diese Werte lerne ich in der Blindenführhundschule und nachher im individuellen Training mit meinen Auftraggeber. So habe ich nicht nur typische Wege gelernt, sondern auch Zielorte. Wenn Anne etwa sagt „Money, Money“ weiß ich, dass sie zur Bank will. Dank dieser Wegmarken finden wir zusammen zur Apotheke, zum Supermarkt, zum Bäcker oder zu Freunden.

 

Wie kann sich ein Hund das merken?

Floyd: Bei Freunden merke ich mir den Eingang ihrer Wohnung. Nach der Trainingsphase sind quasi Befehl wie Sitz und Platz aber auch kompliziertere Anweisungen belegt. Doch die Festplatte ist nicht voll. Mein Arbeitgeber programmierte sie, indem er die Zielorte nach und nach mit eben den Kennungen belegt, dass ich diese dann aufrufen und mit dem blinden Menschen ansteuern kann. So kommen wir zum Metzger wie zum Wochenmarkt.

 

Wie kann sich ein Hund gegen Ablenkungen wehren?

Floyd: Auch auf dem Wandsbeker Wochenmarkt haben wir trainiert, uns zu den einzelnen Ständen zu orientieren. Also gehen wir immer die gleiche Runde. Apfel, Gemüse, Fleisch, Eierfrau, Fisch… Ich weiß, dass ich beim Kommando Herrmann zum Gemüsemann gehen muss. Was ich übrigens gerne mache. Hier bekomme ich Möhrchen zum Knabbern. Die knacken so schön. Genauso geht´s Richtung Schlachter.

 

Wie profitiert Ihre Arbeitgeberin Anne von dieser Fachqualifizierung?

Floyd: Ich verstehe mich selbst als Fachkraft. Mein Arbeitgeber kann sich auf meine Ausbildung verlassen. Er kann auch einmal die Gedanken fahren lassen. Ich bin ja da.

 

Gibt’s Orte, zu denen Sie nicht hingehen.

Floyd: (schnell): Zu St. Pauli. Anne ist St. Pauli Fan. Aber mir sind dort die Fans zu laut. Dafür bin ich offenbar zu zart besaitet. Aber ich bin auch nur ein Tier.

 

Was unterscheidet ein Blindenführhund von anderen?

Floyd: Er muss entscheiden, was in einer Situation richtig ist. Wo ist die Gefahr für den blinden Chef. Zuweilen fälle ich auch Entscheidungen gegen den Chef. Aber ein guter Chef akzeptiert das, weil er weiß, ich stehe dahinter. Das ist wie im Menschenleben.

 

Was halten Sie von Inklusion?

Floyd: Ich bin ein Teil davon. Ich unterstütze meine Chefin darin, am Alltag aktiv und mobil teilzuhaben. Für sie ist Mobilität Teil der Inklusion. Ein guter Blindenführhund sagt, wo es längs geht. Er zeigt den Weg, der möglich ist. Der Blindenstock macht nur tock, tock und zeigt, was nicht möglich ist, wo Hindernisse sind. Das ist der große Unterschied, der Lebensqualität und Mobilität für Blinde ausmacht.

Ein Gastbeitrag von Hergen Riedel