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Wenn Vierbeiner die Augen ersetzen

30.09.2017

Daniel Goosmann bildet Hunde aus, die Blinden Freiheit schenken

Wenn Vierbeiner die Augen ersetzen

30.09.17

Daniel Goosmann (hier mit Tochter Finja) bildet unter anderem Blindenhunde aus, die in dieser Zeit in seiner Familie leben.

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Daniel Goosmann (hier mit Tochter Finja) bildet unter anderem Blindenhunde aus, die in dieser Zeit in seiner Familie leben.

© Hackenberg

 

Uelzen/Landkreis. Labradorhündin Borka sieht aus wie ein gewöhnlicher Hund, doch für Frauchen Ingeborg Hennings-von der Ohe ist sie viel mehr als ein Haustier. Borka ist ihr ständiger Begleiter, gibt ihr Selbstvertrauen und Freiheit.

Dank der Hündin kann Ingeborg Hennings-von der Ohe fast alles tun, auf das sie Lust hat. Sie sieht die Welt mit Borkas Augen. Denn selbst sehen kann die 73-Jährige seit einer Netzhauterkrankung vor 15 Jahren nicht mehr.

 

Seit elf Jahren ein Team: Ingeborg Hennings-von der Ohe und Borka. Die Blindenhündin geht bald in Rente. Fotos: Hackenberg

 

Seit elf Jahren ein Team: Ingeborg Hennings-von der Ohe und Borka. Die Blindenhündin geht bald in Rente. © Hackenberg

 

„Dank Borka kann ich eigentlich alles – bis auf lesen“, sagt Ingeborg Hennings-von der Ohe verschmitzt. Sie ist trotz Handicap ein aktiver Mensch. Jeden letzten Freitag im Monat berät sie andere Betroffene im Uelzener Rathaus. Dafür muss sie mit dem Bus von Suhlendorf nach Uelzen fahren – und dank Borka kann sie das alleine. „Ohne sie bräuchte ich jemanden, der mich begleitet“, weiß Ingeborg Hennings-von der Ohe.

 

Zwar war sie, bevor Borka vor elf Jahren in ihr Leben trat, oft alleine mit einem Blindenstock unterwegs, aber: „Das braucht viel Konzentration und ist anstrengend.“ Für Blinde sei es in der Uelzener Innenstadt schwer, weil „überall etwas herumsteht“. Nachdem sie ein Blindenhunde-Seminar besucht hat, entschloss sich Ingeborg Hennings-von der Ohe dazu, bei der Krankenkasse einen Antrag zu stellen – und er wurde genehmigt.

 

An diesem Punkt kommen Menschen wie Daniel Goosmann ins Spiel. Er lebt mit seiner Familie, Gänsen, Pferden und Affen in der Wessenstedter Natur – und hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Er trainiert Tiere jeder Art und bildet Blinden- und Spürhunde aus. In ganz Deutschland ist Goosmann auf der Suche nach geeigneten Vierbeinern, denn den idealen Hund zu finden ist schwer: „Er muss neugierig sein, aber nicht aufdringlich. Unerschrocken, aber vorsichtig. Aufgeweckt, aber auch lässig. Topfit und intelligent.“

 

Die Rasse spiele dabei eine kleinere Rolle als der Charakter. „Eine Frau, die an Diabetes leidet, hat sich einen Akita Ino als Spürhund zugelegt. Die Rasse eignet sich eigentlich dafür weniger“, weiß Goosmann. Derzeit befindet sich Sancho bei ihm in der Ausbildung und: „Ich habe mich getäuscht. Sancho ist super.“

Wenn Goosmann einen Hund gefunden hat, wird er in die Familie integriert: „Wenn er sich daran gewöhnt hat, kann ihn nichts mehr erschüttern.“ Auch die Familienhunde leisten ihren Beitrag: „Die jungen Hunde schauen sich viel von den alten ab“, weiß er.

 

Die Grundkommandos bringt Goosmann laut eigener Aussage in einer Woche bei. Wie das so schnell geht? „Wir sprechen mehr hündisch als Andere“, antwortet er. Ist der Hund so weit trainiert, geht es ab auf Pausenhöfe voll mit Kindern, entlang an lauten Straßen – und an die Imbissbude: „Der Hund muss den Würstchenstand ertragen.“

 

Schließlich lernt der Hund, am Blindengeschirr zu gehen und wie er sich verhalten muss. „An einer Bordsteinkante muss er stehen bleiben – egal, was auf der anderen Straßenseite ist“, weiß Goosmann, denn das Leben der Blinden hängt davon ab. Der Hund lernt, Aufzüge zu suchen, seinen Halter sicher über Treppen zu bringen und sich mit ihm den Weg durch Fußgängerzonen zu bahnen – vorbei an Kindern und Hindernissen.

 

Nach ein bis zwei Jahren hat Goosmann dem Hund alles beigebracht und übergibt ihn an die Menschen, die ihn brauchen. Aber es kommt auch vor, dass die Chemie zwischen Hund und Mensch nicht passt. Das hat Ingeborg Hennings-von der Ohe gerade erlebt. Weil Borka mit 13 Jahren in Rente geht, bekommt sie einen neuen Blindenhund. Sie hatte schon einen gefunden, doch es stellte sich heraus, dass sie nicht zusammenpassen. „Ich gehe gerne in Konzerte, doch der Hund war sehr lärmempfindlich.“ Mittlerweile hat sie einen geeigneten Konzertpartner gefunden. Und Borka bleibt auch bei ihr, denn trennen möchte sich in der Familie niemand von ihr.

Von Sandra Hackenberg (allerzeitung)