Recht auf Blindenführhund
Recht auf Blindenführhund
Sozialgericht entscheidet gegen die DAK. Schülerin (16) gewinnt den
dreijährigen Rechtsstreit.
Von Thomas Nagel
HANNOVER. Nele-Tiziana (16) wurde bis zu ihrem 12. Lebensjahr 60 Mal
an den Augen operiert. Doch die Eingriffe änderten nichts an der
Erblindung. Die Jugendliche leidet unter einem angeborenen Glaukom
(Grüner Star). „Letztendlich haben wir gesagt, es reicht“, erzählt
Mutter Manuela Koch (51) vor dem Sozialgericht Hannover. Am Mittwoch
hat sie einen Sieg gegen die DAK errungen. Nach drei Jahren Streit mit
der Kasse. Die DAK muss einen Blindenführhund für Nele-Tiziana
bezahlen.
Sozialrichter Henning Knopp entschied: „Ein Blindenführhund hilft der
Klägerin in einem wesentlich besseren Maß als ein Laser-Langstock.“
Die DAK hatte nach einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK) die Bezahlung des Hundes verweigert. Ein
Langlaufstock oder ein elektronischer Bodyguard tue es auch, lautete
die Begründung. Sicher spielten die Kosten auch eine Rolle. Denn die
Ausbildung eines Blindenführhundes kostet 26.500 Euro.
Sozialrichter Knopp ließ ein Gutachten erstellen. Eine Tierärztin und
Hundetrainerin ging mit Nele-Tiziana den Schulweg ab. Ihre
Einschätzung: „Sie kann den Weg mit Hund besser bewältigen als mit
einem Langstock.“
ERFOLGREICH GEKLAGT: Anwalt Michael Richter und Mutter Manuela Koch
freuen sich über die gewonnene Klage gegen die DAK. Nagel
Nele-Tiziana sei lebensfroh, erzählt ihre Mutter. Ihr Kind tanze,
spiele Geige und mache Handarbeit. Ihr Bestreben sei, ihre Tochter so
normal wie möglich aufwachsen zu lassen. Doch gerade im ländlichen
Nienburg sei es für sehbehinderte Menschen schwierig. So habe
Nele-Tiziana Kniffe entwickelt, dass sie auf ihrem Schulweg immer
jemanden dabei habe, der ihr beim Überqueren von Straßen helfe. Aber
gerade jetzt brechen viele Kontakte ab, weil ehemalige Mitschüler eine
Ausbildung anfingen. Nele-Tiziana geht in die 11. Klasse der IGS.
„Aus Angst meidet meine Tochter öffentliche Verkehrsmittel“, erzählt
ihre Mutter in der Verhandlung. Denn beim Einsteigen in den Bus
benötige sie immer Hilfe. Lediglich in einem Radius von 300 Meter um
das eigene Zuhause könne die Jugendliche sich frei bewegen;
vorausgesetzt es gebe in diesem Bereich keine Baustellen. Und das bei
einer 16-Jährigen, die eigentlich gerade die Welt entdecken will.
Für den Anwalt der Familie, Michael Richter, war die Sache juristisch
klar. Denn bereits 1980 habe das Bundessozialgericht (BSG)
Blindenführhunde als „unmittelbares Hilfsmittel“ eingestuft. Dies
bedeute, dass wirtschaftliche Erwägungen in den Hintergrund treten.
Die DAK hatte das anders gesehen. Die Kasse werde die schriftliche
Urteilsbegründung abwarten, um über ein Rechtsmittel zu entscheiden,
erklärte ein DAK-Sprecher.
© neue Presse Hannover 22.08.2019